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Ein revolutionärer Akt

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Junge Philharmonie Ostwürttemberg, Aalener Kantorei, Cappella Nova Unterkochen und der Chor der Waldorfschule Heidenheim führen Beethovens Neunte auf

Von Herbert Kullmann

Aalen (sz) – Wenn Junge Philharmonie Ostwürttemberg (JPO), Aalener Kantorei samt Jugendkantorei (Leitung Thomas Haller), Cappella Nova Unterkochen (Ralph Häcker), der Chor der Waldorfschule Heidenheim (Julia Bernert) und vier Solisten gemeinsame Sache machen, steht Großartiges bevor. Am Sonntagabend war es in der Aalener Stadthalle soweit. Mit Beethovens Neunter.

JPO-Chefdirigent Uwe Renz hebt den Taktstock, seine jungen Musiker setzen zum „Allegro ma non troppo“, zum ersten Satz von Beethovens populärer „Sinfonie Nr. 9“ (op. 125) an. Eine inhaltliche wie musikalische Herausforderung, insbesondere, da Renz in Beethovens überbordender Komposition mit der darin enthaltenen „Ode an die Freude“ mehr erkennt als belangloses gesamteuropäisches Trallala. „Die Neunte versucht die Bestimmung des Menschen im Sinne von Aufklärung und Idealismus zu beantworten. Allerdings ist der Schlusssatz nicht als Happyend gedacht“, verrät Renz im Vorfeld, um ausdrücklich zu betonen: „Das Finale ist vielmehr eine gewaltsame Beschwörung der Ideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Ein entscheidender Hinweis zum Musik- wie Konzertverständnis, da der Dirigent eben nicht in den „Alles ist gut“-Jubel einstimmen möchte, der erwartungsgemäß bei dem Finalsatz der Neunten ausbricht. „Der vierte Satz ist ein Appell! Kein Status quo!“

Schwierige Passagen nuanciert gemeistert

Ganz im Sinne Beethovens, steht doch die Neunte in der Tradition seiner bekenntnishaften Sinfonien à la „Eroica“ und so in dem Weckruf, sich einem widrigen Schicksal zu widersetzen. Renz und die JPO nutzen eloquent die ersten drei auffallend konträren, aber sich komplementär ergänzenden Sätze. Damit wird mit beeindruckendem orchestralen Potential bereits hier der kommenden Apotheose auf Schillers „Ode an die Freude“ Spannung und Aussagekraft verliehen. Dabei erweist sich die JPO erneut als professionell agierendes Orchester, dessen philharmonische Qualität außer Frage steht, das schwierigste Passagen höchst nuanciert meistert und mit Verve orchestrales Zusammenwirken lebt. Keine Selbstverständlichkeit, muss doch Renz die besten jungen Musiker aus den vierzehn Musikschulen Ostwürttembergs „unter einen Hut bringen“.

Düsternis, Kampf und Schrecken

Erfolgreich, wie es sich bereits im 1. Satz zeigt, in dem der musikalische Reigen voll unkonventioneller Überraschungen steckt. In dramatischer Form werden Düsternis, Kampf und Schrecken beschworen. Nur vereinzelt blitzen freundliche Seitenansätze durch, doch es bleibt bei einer sich stetig steigernden Unruhe, die über einen heftigen Paukenwirbel zum Höhepunkt, dem Unisono-Einsatz, führt.

Der breit angelegte zweite Satz begeistert mit euphorisch klingenden Rhythmen, bevor nach wildem Tanz der dritte zu weihevollem Gesang – bemerkenswert der „stille“ Holzbläserchoral – bittet.

Eigentlich stünde nun der mit Bläser-Tutti explodierende Auftakt zum Finale an. Doch das widerspräche Renz’ Intention, eben keine „Abendverhübschung“ zu servieren. Damit liegt er auf Linie Beethovens. „Es gibt keinen größeren Bastard der Freude als das reine Amüsement“, so der Komponist einst. Angesichts europäischer Vergangenheit und Gegenwart in diesem Sinne unausweichlich, greift Renz zu Arnold Schönbergs atonalem Melodram „Ein Überlebender aus Warschau“.

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“

Eine von der JPO glänzend intonierte Musik, die expressiv den von Martin Theuer vorgetragenen Text zum Aufstand im Warschauer Ghetto begleitet. Notwendiger Bruch, um die Ideale von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ nochmals bewusst zu machen.

Der 4. Satz, das Finale, erscheint nun in einem völlig anderen Licht. Nicht als „Song of Joy“, sondern als revolutionärer Akt, dem die Chöre sowie die Solisten Heike Beckmann (Sopran), Kathrin Koch (Mezzosopran), Alexander Efanov (Tenor) und Johannes Mooser (Bariton) Stimme und das Orchester Ausdruck verleihen. Sinnbildlich beim gemeinsamen Chor- und Orchestereinsatz im Allegro energico: „Freude schöner Götterfunken“.

Nochmals zu hören ist das Konzert am kommenden Freitag (18. September, 20 Uhr) in der Barbara-Künkelin-Halle in Schorndorf und am 19. September (20 Uhr) in der Heidenheimer Waldorfschule.

© Aalener Nachrichten 15.09.2015